Urlaub als Alarmsignal

Das Publikum hier (s. Reise-Blog AIDA) ist bundesdeutscher Durchschnitt.

Ein Querschnitt wäre mir lieber gewesen.

Sie und mich trennen nicht nur Welten, sondern ganze Sonnensysteme, denn sie machen Urlaub.

 

Hört sich nur in ungeübten Ohren harmlos an.

Urlaub machen Menschen, die einen Job machen, der nicht ihrem Wesen entspricht und wofür sie sich mit einem Urlaub entschädigen möchten. Reparationsleistungen an ihre Seele, an ihre Lebenszeit. Wie im Krieg. Und genau betrachtet ist es Krieg, nur dass sie das Schlachtfeld sind.

 

Absurd und beängstigend zugleich finde ich, dass es kaum jemand merkt. Außer vielleicht die Burn-out-Kandidaten, in denen noch ein Funken Leben glimmt und aufbegehrt.

Die übrigen finde es normal, dieses System.

Erich Fromm nennt dies „den Wahnsinn der Normalität“, Arno Gruen „die Pathologie der Normalität“ (oder vice versa). Beide kommen jedenfalls zum gleichen Schluss. Ein Sirenengesang, in den ich gern einstimme.

 

Bei mir ist dieses System nicht bis in die DNA vorgedrungen, ich spüre ganz wach, dass es krank ist und krank macht.

Ich bin seit mehr als 25 Jahren Freiberufler und selbständig. Viel Arbeit, gewiss, vielleicht sogar mehr als viel, selbst und ständig eben. Aber ich hege keinerlei Bedürfnis, mich dafür zu entschädigen. Das ist ziemlich kostengünstig.

 

Ich bin schon viel auf Reisen gewesen. Aber Urlaub?

Ich versuche mich zu erinnern. Ja, in den letzten Jahren meiner PR- und Werbeagentur vielleicht. Ich hatte das Gefühl, ich müsse mal abschalten, Urlaub machen. Das hat mir zu denken gegeben, daher habe ich die einzig richtige Konsequenz gezogen: ich habe die Agentur abgeschaltet.

Mich neu orientiert. Alles wieder gut. Will heißen: wieder gern gearbeitet. Damit waren keine Ausgleichszahlungen, kein „Schmerzensgeld“ an meine Seele mehr nötig.

 

Merke: Wenn Du das Gefühl bekommst, Du müsstest Dich für eine Arbeit ent-schädigen, dann ist vermutlich vorher Schaden entstanden. Ergo stelle die Arbeit in Frage!

 

Ent-Fremdung versus Ent-Wicklung

 

Ist alles nicht neu, ich weiß. Wer Marx und seine Studien zur Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit studiert hat, wer die Auswüchse der Industrialisierung wirklich verstanden hat, für den ist das alter Tobak. Leider ist es so aktuell wie nie, denn damals war es etwas Neues, etwas Bedrohliches - heute ist es Normalität, wird nicht mehr in Frage gestellt. Das System hat gesiegt. 

Daher möchte ich nochmals kurz in eigenen Worten zusammenfassen, was all die klugen Köpfe seinerzeit anmahnten, aus heutiger Sicht.

 

Die Ent-Fremdung steht der Ent-Wicklung diametral gegenüber.

Die Industrie / Wirtschaft und auch die Politik, die von oben nach unten wirkt (egal wie sich das nennen mag), braucht willfährige Exekutiven. Willfährig wird der Mensch, wenn man ihn versklavt, am besten, ohne dass er es merkt.

Dazu braucht es nur wenige Parameter:

  1. Angst: zu verhungern ohne abhängige Beschäftigung, vor Obdachlosigkeit, vor Ausgrenzung. Letzteres ist ein zweischneidiges Schwert (s. 3.)
  2. Begriffsumkehr von Freiheit: frei wird zu vogelfrei und negativ besetzt
  3. Vereinzelung: Gemeinschaft wird instrumentalisiert und gleichzeitig in freier Form nur noch als Freizeiterleben geduldet, bei latenter Unterwanderung des Wertekanons

Gewinner dieses Systems ist das System: die Industrialisierung entfremdet den Menschen von befriedigendem Tun und kreiert dazu passend eine Freizeitindustrie, die den hart verdienten Lohn abschöpft. Ein gut funktionierender Kreislauf, in dem der Einzelne sich im Kreis dreht. Ein Ausweg ist nicht vorgesehen.

Das System gibt die Maxime aus: „Schlage nicht die Hand, die dich nährt!“

Ich entgegne dann gern die meine: „Nähre nicht die Hand, die dich schlägt!“

 

Ein Mensch, der produktiv im besten Wortsinne ist, erfährt Erfüllung im Tun. Die Vollendung des Werkes - was auch immer es sein mag - ist Erfüllung, ist Lohn an sich.

Erfolg ist nicht mehr gleich Geld - diese Gleichung ist ad absurdum geführt.

Das führt zur Frage: Was ist Erfolg? 

Vielleicht vorher noch:

 

Was ist Arbeit?

 

Arbeit ist - im allgemeinen Sprachgebrauch - etwas, was man nicht gern tut. Da sich der allgemeine Sprachgebrauch an der systemimmanenten Gesellschaft orientiert, kein Wunder (s.o.)

Wenn man dann (wie ich) seine Arbeit gern tut, heißt es schnell, das sei ja keine Arbeit. Aus deren Sicht ein folgerichtiger Rückschluss.

Aber es gibt noch eine andere Sicht. 

Nicht nur die der o.g. intellektuellen Größen, sondern auch meine eigene.

Ich jedenfalls sehe mich diesem Sprachgebrauch aufs Übelste ausgesetzt, denn:

Darf ich für mein fertiges Produkt kein Geld verlangen, weil ich es gern gemacht habe? Kennt die Gesellschaft nur noch die Entlohnung in Form von Schmerzensgeld?

Wie arm mir diese Weltanschauung scheint. Da wird Müßiggang verklärt. Für mich wäre es eine Strafe.

 

Diskussionen darüber finde ich immer schwierig. Man wird schnell zum Workaholic abgestempelt, kurz: man muss krank sein, wenn man gern produktiv ist.

Ich bin meinem inneren Wesen nach ein Produzent, kein Konsument. 

Es gibt wenige Dinge (meist nur Originale), für die ich bereit bin, Geld auszugeben. Für Reisen, zum Beispiel, die kein Urlaub sind. ;-))

 

Ich weiß, SIE gehören nicht zu dieser Gesellschaft, wie ich sie beschreibe. SIE machen ihre Arbeit wirklich gern. Und die Kollegen erst… Ja! 

Aber… wenn Sie 500.000 Euro gewinnen würden, oder eine Summe, mit der Sie nicht mehr arbeiten müssten: würden Sie es trotzdem tun?

Eben.

 

Damit zur nächsten Frage:

Was ist Erfolg?

 

In meinem Verständnis ist Erfolg = Erfüllung. Nicht Geld.

Ich habe schon eine Menge Geld verdient, fühlte mich aber nicht automatisch erfolgreich.

Ich verdiene gern Geld, aber es hat mich allein nie befriedigt, oder wenn, nur für sehr kurze Zeit.

 

Wenn das Tun selbst mich erfüllt, wenn das Erschaffene bestmöglich erfüllt ist, das ist Erfolg mit Bestand. Das Geld ist eine Folge des Prozesses, nicht alleiniges Ziel.

Ich bin produktiv und daher fällt mir kein genialer Gedanke ein, WEIL ich dafür Geld bekomme. Im Gegenteil, wenn ich während des Schaffensprozesses ans Geld denke, bin ich vom Wesentlichen abgelenkt.

 

Ergo widme ich mich der Aufgabe aus Liebe und mit Hingabe.

Die Tätigkeit und ich verschmelzen, ich gehe in Erfüllung wie auch mein Werk.

 

Das Geld, das ich vom Kunden erhalte, ist Wertschätzung meiner Lebenszeit, die ich für die Erfüllung meiner Aufgabe aufgewendet habe, nicht Motivation.

Die Gesellschaft hingegen funktioniert größtenteils (wie oben beschrieben) nach dem Prinzip:

Ent-lohnung = Ent-schädigung bei Ent-fremdung.


Pressefreiheit durch Negation untergraben

Seit einiger Zeit sind die Medien ins Visier der sog. aufgeklärten und doch nur populistischen Bürger geraten.

Die Pressefreiheit an sich wird in Frage gestellt. Die Medien seien politisch manipuliert, heißt es.

 

Ich habe lange gegrübelt, warum ein so hohes Gut wie die Pressefreiheit in der BRD angezweifelt wird, und bin nur zu einem logischen Schluss gekommen:

Self-fulfilling-prophecy

Wer die Pressefreiheit in Zweifel zieht, wünscht deren Abschaffung. Man tut schon mal so, als gäbe es sie gar nicht mehr, um deren schrittweisen Abbau unter rechtspopulistischer Gesinnung vorweg kaschieren zu können.

Wie soll man abschaffen, was es nicht gibt?

 

Schlau im Sinne von bauernschlau. Und der Mob nickt. Ahnungslos, unkritisch - wie zu allen Zeiten.

Allen nicht demokratischen Kräften ist die Pressefreiheit ein Dorn im Auge, ist sie doch Ausdruck und wesentlicher Bestandteil der Demokratie.

 

Will heißen: für die Pressefreiheit, die wir angeblich nicht mehr haben, sterben in anderen Ländern Menschen oder wandern ins Gefängnis.

Wie absurd und tragisch zugleich.


Positives Denken als Abschaffung des Mitgefühls

 

Anfangs habe ich noch mit Leuten diskutiert, ob sie wirklich glaubten, was da übers Positive Denken postuliert wurde.

Das ist jetzt 25 Jahre her und ich diskutiere nicht mehr. Es hilft nichts. Man möchte nicht wissen, nicht zweifeln, sondern glauben.

 

Es wäre sogar ein Glauben, wäre er jeder kirchlichen Lehre nicht diametral entgegengesetzt: in einer Religion geht es nämlich darum, ein höheres Wesen als sich selbst zu akzeptieren - beim Positiven Denken ist der Mensch allmächtig, göttlich. Es liegt nämlich völlig in seiner/ihrer Hand, was ihm/ihr geschieht: Denkt er positiv, so wird ihm Positives begegnen.

 

Mein Leben und Erleben - und nicht nur das meine - steht dazu im völligen Widerspruch. Es war eigentlich vielmehr so, dass wenn ich mich entspannte und auf „arglos schaltete“, sich die verheerendsten Dinge ereigneten, völlig aus dem Nichts.

Einzelheiten hierzu möchte ich ersparen, nur zum Nachdenken anregen: Wenn Positives Denken de facto funktionieren würde, wäre es längst staatlich oder durch die Krankenkassen verordnet. 

Oder meinen Sie, dass ein Kind auf der Kinder-Onkologie wirklich nur im Positiven Denken versagt hat? Oder ist dessen Krankheit wirklich nur „als Weg“ zu verstehen? Wohin führt er denn?

 

Ich denke, diese blasphemische Anmaßung, die sich durch die Anhänger der Positiv-Denken-Sekten ausdrückt, ist mit verantwortlich für den Untergang von Hilfsbereitschaft und Mitgefühl, der heute so oft beklagt wird.

„Selber Schuld“ heißt deren Maxime.

Das entbindet von Hilfsangeboten, von Nächstenliebe.

So einfach ist das, beziehungsweise kann man es sich machen.

 

Nein, ich diskutiere nicht mehr, ich konstatiere. Und konsterniere zunehmend.

Nicht sehr positiv angesichts des Positiv-Denken-Gebots.