Auf Kreuz- und Querfahrt

oder: Die nächste Kreuzfahrt mache ich vor 20 Jahren...

Ich habe einiges gelernt auf dieser Kreuz-und-Querfahrt.

Zum Beispiel: 

Es gibt eine Logik und eine AIDA-Logik.

Es gibt ein Datenschutzrecht und ein AIDA-Recht.

Es gibt Niveau und Nie-Wo?

Es gibt „Dienstgrade“ bei AIDA-Urlaubern.

Kosmetikspiegel gehören zu rationierten Gütern.

Und noch etwas:

 

Ich kenne jetzt die Höchstform von Dekadenz.

Aber der Reihe nach...

 


Tag 1: Hinflug

Wolkenlos ist der Himmel beim Abflug aus Düsseldorf International Airport, aber je näher wir den Kanaren kommen, um so dichter der Wolkenteppich unter uns.

Teppich trifft es nicht ganz, denn  es ähnelt eher einem Konstrukt aus Polygonen, wie manche ihre Terrasse fliesen, nur dass es hier der Atlantik ist. Kurz vor Gran Canaria dann Wolken, die aussehen, als kämen sie aus einem Auspuff, besser: als hätte ein Karikaturist dies überzeichnet.

 

Die Sicherheitskontrolle am Flughafen war beinahe demütigend. Und das ganze noch einmal vor Eintritt in die heiligen Hallen der AIDA, obwohl wir ja keinen unbeobachteten Schritt getan hatten. Vom Kofferlaufband in Las Palmas nahtlose „Schleuser“  zum Bus, vom Bus zum Empfangsterminal, Passfoto, Bordkarte und wieder zur Röntgenkontrolle. Zwischendurch hätte sich nicht einmal eine Fliege auf uns setzen können, aber… bitte! „Und wer hat’s erfunden? Die Schweizer….!? Nein, den Eidgenossen kann man nicht alles anlasten, nicht einmal nach der Whistleblower-Affäre, die ja nicht einmal eine wurde.

Gran Canaria

Endlich auf dem Schiff und …. Ernüchterung. Punkt.

Der Werbefotograf der AIDA hat ganze Arbeit geleistet und jeden Cent redlich verdient. Davon kann er sich getrost das nächste Super-Weitwinkel kaufen. Es macht sich bezahlt…

 

Alles wirkt - in real - geschrumpft.

Der Himmel über Las Palmas ist grau und wolkenverhangen. Meiner Stimmung geht es ähnlich. Verdammt - ich will das Hiersein genießen!!!

 

Das Publikum ist gesellschaftlicher Durchschnitt, ein Querschnitt wäre mir sympathischer 

(Hatte ich schon erwähnt, dass ich Mittelmaß hasse? Nein?)

Wer im Steigernberger in D gern diniert hat, oder im Kaiserswerther Schiffchen, der wird enttäuscht sein. Aber wer hat das schon? Außer mir, vielleicht… Dabei kann ich über das breite Essensangebot noch gar nichts sagen. Ich bin zwar schon ein paar Stunden auf dem Schiff, aber leider haben nur 2 Restaurants geöffnet. Eines davon der California Grill. Es gibt Burger, Pizzen und frischen Salat. Nicht der beste Einstand, zugegeben.

Ich denke gerade, dass mir die Diät hier leicht fallen wird. Aber vermutlich täusche ich mich. Wäre ja nicht das erste Mal. Eine Diät von gepflegtem menschlichen Umgang hatte ich mir eigentlich nicht verordnet.

Ich bin kein Snob, auch wenn es sich vermutlich gerade so anhört. Ich bin gut in Camping und in 5-Sterne-Dingen - nur das Mittelmaß…. Ja, das hatten wir schon. Ich bin gebildet. Und das kann ich nicht ablegen oder abnehmen. Und will es auch nicht.

 

Die Sonne blitzt durch einen Wolkenspalt.

 

Das nehme ich zum Zeichen.

Im Flugverlauf verdichteten sich die Wolken. 

Tag 2: Teneriffa

Ich habe einen Ausflug mit dem Scuddy gebucht, dazu später mehr.

Erst einmal zur Verpflegung: gut. „good“ würde ein Amerikaner sagen. Wer schon einmal in den USA war, weiß, was das heißt.

Der feine Gaumen muss sich vermutlich ans Gourmetrestaurant halten. Gesonderte Zahlung, kein all-in. Ich habe meinen noch nicht dorthin ausgeführt.

 

Kennt jemand zufällig den Club Ali Bey in Manavgat? Der hat seine 5 Sterne schon vor mehr als 20 Jahren erhalten und vermutlich der Küche zu verdanken. Ich war 3 oder 4 Male dort - unvergesslich: die Küche, der Service, die Abendshows mit ganzen Tanztheatern aus Russland… 

Nein, ich werde nicht vergleichen. Vergleichen tut nie gut.

Auch nicht beim Service.

 

 

Ich vergleiche nicht, sondern erzähle einfach mal munter drauf los:

 


Ich hatte, wie gesagt, einen Ausflug gebucht.

Am 1. Tag hatte ich Kabinenpost, daraufhin musste ich mich auf den Weg machen. Nicht zum Ausflug, sondern erst einmal durch die AIDA-Instanzen…

Ich stand in der Schlange vor der Rezeption und - es war die falsche, denn es gab noch eine 2. Schlange extra für Ausflüge oder deren Probleme. Anderer Counter, andere Schlange. Lösung versucht, per Telefon zu einem anderen Deck. Dann der Hinweis, ich könne ja dort einmal fragen. Wie dumm von mir, es tatsächlich zu tun. Weiteres Personal, weitere Weg-Weiser. Schließlich wurde ich sogar von Bord geschickt, mit Suchanweisungen. Dort erbarmte sich ein Guide, der gar nichts damit zu tun hatte, brachte mich wieder an Bord, suchte einen Verantwortlichen, Problem teilweise geklärt. Nach dieser einstündigen ABM hatte ich nur noch 25 Minuten fürs Frühstück. Ich beließ es beim Kaffee.

Worum es ging?

AIDA wollte von mir die Unterschrift eines Formulars, dass ich keine gesundheitlichen Einschränkungen bez des Ausfluges hätte (siehe LISTE). Leider trafen 3 Punkte davon zu. (Wer sich das Formular ansieht, wird vermutlich ebenfalls mindestens 1 zutreffenden Faktor erkennen, oder?) Zurücktreten, so stand dort, könne ich aber nicht mehr, außer gegen 100-prozentiges Ausfallhonorar. Mit diesem Formular rannte ich am Morgen von Pontius (Rezeption) zu Pilatus (alle weiteren Stationen). Ich unterschrieb schlussendlich, nachdem man mir erklärt hatte, dass man das alles nicht so wörtlich nehmen müsse. Gut. Vermutlich wird man es erst wörtlich nehmen, wenn man im Schadenfall mich zur Rechenschaft ziehen will.

Aber das Management wollte mich auch noch beschäftigen (unentgeltlich versteht sich), Kabinenpost No 2. Ich solle mein „Sicherheitsfoto“ erneuern lassen, bis 22 Uhr. Mir schwante übles: ich hatte meinen Hut aufgelassen, als man mich gegen meinen Willen ablichtete. Weil ich immer Hut trage. Außer im Bett und im Wasser. Als ich mich erneut weigerte, meinen Hut abzusetzen fürs neue Foto, argumentierte man, beim Einwohnermeldeamt müsse ich das ja auch.

Ich frage mich, seit wann es eine AIDA-Behörde gibt…

Im Kleingedruckten habe ich übrigens gelesen, dass man ungefragt vom Bordfotografen fotografiert werden darf und man sich nicht dagegen wehren könne, wenn mit diesen Bildern Werbung fürs Unternehmen gemacht werde.

Ich bin, wie gesagt, Redakteurin. Als solche wurde ich eingehend im Presserecht unterrichtet. Wurde das mit anbrechenden Facebook-Zeiten eliminiert? Wenn ich nett sein möchte, werde ich das Management danach fragen. Wenn ich nicht nett sein möchte, übergebe ich es einem Anwalt.

 

Der Ausflug

Ich fasse mich kurz: Wir fuhren durch Santa Cruz Stadt. 

Vor allem Stadt. Plus Stadtverkehr. Auf so einem dreirädrigen Gefährt fühlt man sich trotz Fahrradhelm sehr verwundbar, erst recht wenn ein LKW hupt. 

Beim Abstecher in den botanischen Garten tritt eine kurze Phase der Entspannung ein, bis es über Serpentinen (Kfz-Straße) zur Aussichtsplattform geht, mit spektakulärem Blick über - na, ahnen wir es? - die Stadt mit ihren vielen Hochhäusern.

 

Rückweg zur AIDA. Vor die Wahl gestellt, ob ich als Schlusslicht in der Gruppe ebenso wie die Dame vor mir über Rot fahre, um dem Guide zu folgen (der hatte noch Grün), entscheide auch ich mich, nicht den Anschluss zu verlieren...

Auch durch schmutzige Scheiben schön: die Sonne.        Teneriffa, Santa Cruz, begrüßt uns mit Wolkenteppich

Tag 3: Lanzarote

Kreuzfahrt-Inselhopping ist zu schnell für meine Seele. 

 

Ich bräuchte mindestens 2 Tage an einem Ort: einen zum Ankommen und einen zum Ansehen. Schön wäre, man hätte noch einen, um sich zu verabschieden.

 

 

Die Realität und die „japanischen Verhältnisse“ vor Augen bleibe ich an Bord und nehme mir Urlaub vom Reisen…

Tag 4: Seetag

Manchmal kommt es anders.

Auch Kreuzfahrtrouten sind nicht in Stein gemeißelt.

In der Nacht eine medizinische Evakuierung, die uns wieder zurück Richtung Arrecife führt  Die Passagiere mit Balkonkabinen berichten, sie hätten geglaubt, der Rettungshubschrauber würde direkt in ihrer Kabine landen. Und dann eine Routenänderung wegen des Wetters am nächsten Zielort.

Lissabon, und damit ganz Portugal, fällt aus.

Die See ist schon seit der Nacht mehr als „kabbelig“, wie man im Norden sagt. Am Vormittag, längsseits der afrikanischen Küste, liegt die Wellenhöhe bei 3 - 3,5 Metern. Atlantik eben. Nicht das freundlichste aller Meere. Der „große Teich“ lässt seine Muskeln spielen.

Am Vormittag erreicht uns die Nachricht über die Sprechanlage. Alle warten auf die Kapitänsansprache am späten Nachmittag. Hoffentlich wird das kein de Maiziere-Auftritt: „Wenn Sie alle Informationen hätten, würde es die Passagiere noch mehr verunsichern…“

 

Vor Gericht und auf hoher See liegen wir alle in Gottes Hand - fällt mir ein.

Sonst nicht?, frage ich mich.

 

Und mir fällt eine alte, eine sehr alte Prophezeiung ein, die ich im zarten Alter von 10 Jahren aufgestellt hatte: Wenn ich mal ein Schiff betreten sollte, geht es unter.

Da ich in 2016 für 7 Tage an Bord einer türkischen Gulet war, hatte ich es widerlegt.

Dachte ich.

Hoffe ich auch jetzt, ziemlich aktuell.

Mir kommt die Rettungsübung vom Ankunftstag in den Sinn. Alles behalten, glaube ich.

Hoffe ich.

Vor Gericht und auf hoher See…

 

Der Kapitän informiert am Nachmittag im Theatrium: Lissabon entfällt wegen einer Schlechtwetterfront vor Portugal, es sind Wellen mit extremen Höhen zu erwarten, die man nicht unbeschadet passieren könne. Der Kapitän möchte daher schützen: „das Schiff, die Gäste und die Crew“ - in dieser Reihenfolge. (Bemerke nur ich die Prioritätensetzung?)

Stattdessen würden wir Gibraltar anlaufen, erstmals in der AIDA-Geschichte. Einige Leute klatschen, nachdem man Crew-Mitglieder als Vorklatscher im Publikum strategisch gut platziert hat. Es wirkt, der „Mann´sche Untertan“ applaudiert willig.

Bei der neu angesetzten Route fällt mir sogleich auf, dass wir einen zusätzlichen Seetag in Kauf nehmen müssen. 

Es missfällt mir, nicht nur wegen des entgangenen Auftrages.

Die Gespräche mit einigen Gästen während der nächsten Tage werden zeigen, dass ich mit dieser Einschätzung wahrlich nicht allein bin. Einige haben die Reise nur wegen Lissabon gebucht. 

 

Meine Intervention an der Rezeption beschert mir zumindest ein kleines Freikontingent fürs Internet, um die in Lissabon geplanten Termine abzusagen. Man verspricht, die Kosten fürs Internet nachträglich zu stornieren.

Das „nachträglich“ ist am 9. Reisetag noch nicht geschehen.

 

Anmerkung:

Interessante Informationen - nein, nicht von der Crew, sondern von anderen Gästen: die „Crown Princess“ hat an dem Tag, an dem wir angeblich nicht in Lissabon anlanden konnten, dort angelegt. Mit 3080 Passagieren. Sie kam aus Ponto del Garde, Azoren, musste also mitten durch das angeblich unpassierbare Gebiet. Mmmh. Ebenso das Segelschiff „Windsurf“. Diese vor-Ort-Infos kamen aus Lissabon inklusive nautischer Daten und von einer Meteorologin. Werde das weiter recherchieren. Zwischenzeitlich tauschen wir email-Adressen aus, um uns bezüglich Schadenersatzansprüchen zu vernetzen. Immerhin muss ich meine entgangenen Foto-Termine in Lissabon binnen der nächsten Wochen nachholen. Die An- und Abreise sowie Aufenthaltskosten beabsichtige ich nicht allein zu tragen.

Tag 5: Cadiz

Cadiz: der Himmel klart endlich auf und lässt den Blick frei auf eine bezaubernde, kleine Stadt. Die Gassen sind sehr schmal, beinahe italienische Verhältnisse, aber gerade groß genug, um den Rettungswagen durchzulassen.

Beim morgendlichen Workout laufen wir in Cadiz ein.

Heute mache ich wieder einen Landgang in der Hoffnung, mal weniger Menschen um mich zu haben.

Übrigens: im Rückblick auf den gestrigen Seetag kann ich nur feststellen, dass eine Innenkabine für raue See denkbar ungeeignet ist. Dem Magen gefällt es besser, wenn die Augen einen Horizont sehen können. Oder wie Otto gesagt hätte: „Magen an Augen, Magen an Augen: Horizont suchen!“

 

Cadiz auf eigene Faust und zu Fuß zu erkunden ist ein Leichtes: farbige Markierungen am Boden, die man auch im kostenfreien Stadtplan findet, weisen den Weg. Die kleine Stadt hat eine positive Atmosphäre, ist grüner als gedacht und mit freundlichen Menschen bevölkert.

Ich sehe meinen Lieblingsbaum wieder, der kein Baum ist und den ich schon von Teneriffa kenne: den Drachenbaum. Die sehr engen Gässchen erinnern an Italien und sind größtenteils mit Kopfstein gepflastert. 

Eine Brücke verbindet die Halbinsel mit dem Festland.

 

Ich sehe sie im Abendlicht von Deck 11 aus und wir rüsten uns zum erneuten Ablegen, unter Klängen von Enyas „Orinoco Flow“…

 

Tag 6: Gibraltar

 In der Morgendämmerung laufen wir Gibraltar an. Ruhig, friedlich wirkt es. Dieser Eindruck aus der Ferne sollte sich bestätigen.

Die Besatzung hat es den Gästen als Highlight verkauft, weil die AIDA bisher noch nie hier geankert hat. Es soll ja unser Ersatz für Lissabon sein.

 

Wenn es so ein Highlight ist, warum war AIDA dann bisher noch nicht hier? Frage nur ich mich das?

 

Ich habe erneut darauf verzichtet, einen der sündhaft teueren Ausflüge des AIDA-Imperiums zu buchen und verlasse das Schiff auf eigene Faust. Keine 20 Schritte hinter dem Terminal erwarten uns bereits geschäftstüchtige Taxiunternehmer, die eine nahezu perfekte Tour anbieten - zur Hälfte des Preises und in kleinen Gruppen von nur 6 Leuten. Perfekt wie sich herausstellen wird, denn unser inländischer Guide ist gebildet und sehr kommunikativ. Er verwebt seine persönliche Geschichte, wie es war hier aufzuwachsen, in einem Zipfel Great Britain mit spanischer Umarmung, mit der früheren und aktuellen Geschichte, wobei das Brexit-Thema naturgemäß ein großes Thema ist.

 

Die Fahrt auf die Felsen von Gibraltar überlässt man besser einem Einheimischen, denn die Serpentinen haben kaum mehr als Wagenbreite, wobei manches Mal der Wagen nur durch Rangieren um die engen Kurven passt. Die Autos fahren übrigens rechts.

Wir sehen mit seiner Hilfe die Tropfsteinhöhlen (St. Michaels Cave), in denen auch Konzerte gegeben werden. Nicht zum ersten Mal bedauere ich, dass wir jedes Ziel nur so kurz anfahren, denn:

Natürlich möchte man wiederkommen und das nicht Gesehene (wegen der kurzen Liegezeit) nachholen. Aber seien wir mal ehrlich: Gibraltar ist nicht gerade „ummi Ecke“, wie man in NRW sagt. Werden wir also wiederkommen? Auf dem Weg liegt es jedenfalls nicht, außer man will zufällig nach Marokko. Das wollte ich, rein zufällig, in jüngster Vergangenheit eher selten… ;-)

 

So sauge ich hier auf, was möglich ist.

Das kulturelle Gewebe aus „very British“ und Espana bezaubert. Man hört Dudelsackspieler neben spanischer Gitarre - einmalig!

Ebenso die spektakulären Aussichten auf Afrika, der gleichzeitige Anblick von Mittelmeer und Atlantik vom Felsen aus. Und ja, die Affen gibt es wirklich. (Vor und hinter der Kamera ;-))

 

 

Auf dem Rückweg zum Schiff fühle ich mich berauscht durch die Farben, die Klänge. Und konstatiere: es braucht keinen Klimawandel, damit britische Orangenbäume blühen! 

Ziemlich schlecht gelaunt, nicht nur der Affe.     Unfassbar schön der weite Blick          Da, ganz weit unten liegt unser Schiff

Tag 7: Seetag (unfreiwillig)

Wir sind am Morgen von Gibraltar losgefahren und müssen bis heute Abend um 23:59 Uhr auf See vertrödeln, weil die AIDA nicht früher ihren Liegeplatz beziehen kann.

Mit gefühlten 5 km/h (Bildungsbürger mögen sich die Knoten ausrechnen ;-)) fahren wir zwischen Afrika und Europa.

Viel Zeit zum Nachdenken.

 

Über Schwimmwesten, zum Beispiel.

 

Es gibt unzählige Kinderschwimmwesten auf dem Pooldeck für 2 Mini-Pools, in denen man nicht schwimmen kann, weil sie zu klein sind, sowie einer „Wasserschleife“ mit 10 cm Wassertiefe, die eher an einen Kneippschen Rundgang erinnert. 

Wir fahren also übers Mittelmeer mit einem Kreuzfahrer, der viele, bunte Kinderschwimmwesten, aber kaum Wasser hat - und da draußen müssen, nicht weit von hier, Flüchtlingsboote unterwegs sein. Ebenfalls mit Kindern, mit viel Wasser drumherum, sehr viel Wasser…

 

Ich fühle mich angesichts dieses Widerspruches überfordert in meinem globalen Gerechtigkeitsempfinden.

Denn es ist lediglich eine Frage des Geburtsortes, ob ein Kind eine knallbunte Schwimmweste für einen Mini-Pool bekommt, oder ertrinkt, da wo es wirklich tief ist.

Keine Leistung, kein Verdienst - pures Glück. Im Sinne von „lucky“, nicht von „happy“.

Wir, die luckiest persons, fahren mit prall gefüllten Buffets der afrikanischen Armut vor der Nase herum und fragen auch noch, was DIE denn in Europa wollen…

So blöd kann doch nicht mal der bundesdeutsche Durchschnittsbürger sein, oder?

 

Ich fühle mich erbärmlich und bekomme eine massive Fremdschämattacke für diesen europäischen Snobismus.

Rechts die Armut, links der Überfluss - und ich mittendrin mit einem „Wohlstands-Rettungsring“ um den Bauch.

 

Und wem das noch nicht dekadent genug ist, der mache auf so einem Kreuzfahrtschiff eine Diät. So wie ich.

Tag 8: Malaga

 

Wir liegen nun also seit Mitternacht im Hafen von Malaga.

Am äußersten Zipfel.

Weil wir außerplanmäßig früh dort sind, haben wir den denkbar schlechtesten Liegeplatz. Für die Reisenden, nicht für AIDA.

 

Merke: je abgelegener der Liegeplatz desto mehr Umsatz beim Bus-Shuttle in die Stadt. Und weil das Unternehmen den anwesenden Urlaubern ja schon einen weiteren Seetag zugemutet hat (als „Ausgleich“ für Lissabon), sollen diese auch weiter laufen müssen oder dem Unternehmen mehr Geld einbringen. Dafür ist der Liegeplatz günstiger (fürs Unternehmen). Muss man als Urlauber nicht verstehen, ist AIDA-Logik.

 

Habe in der Nähe von Malaga, in Torremolinos, einen Ausritt gebucht. Die Ranch … ist bestens auf uns vorbereitet, die Pferde bereits gesattelt. Wach und ausgeruht wirken Tier und Mensch, zuverlässig. Der Eindruck täuscht nicht, als wir durch die Landschaft reiten, was aufgrund der vielen Anfänger im Schritt geschieht.

Mein Grauschimmel heißt „Whisky“ . Er ist ein bisschen tricky, was mir als erfahrene Reiterin zumindest etwas Aufmerksamkeit abverlangt. Der Ausritt ist harmonisch und die Natur ein lang ersehnter Ausgleich zum Stadtgewimmel der vergangenen Tage.

Der Guide vor Ort ist ein schwäbisch sprechender Spanier aus Rondo, der uns herzlich empfängt und zu einem nahegelegenen Gestüt führt. Dort stehen hochdekorierte andalusische Hengste, die in der Hohen Schule brillieren.

 

Der AIDA-Bus lässt uns in der Stadt raus, weshalb ich den Weg zum weit entfernten Liegeplatz Meter für Meter erlaufen habe.

Als hätte ich es geahnt, nehme ich mir nur kurze Strecken in Malagas City vor. Kleine Plätze, von denen sternförmig enge Gassen mit unzähligen Tapes-Bars, Restaurants und Cafés abgehen.

Hübsch. Und voll, denn es ist Wahltag in Spanien.

Zurück zum Schiff, denn es soll wieder los gehen. Den größten Teil der Liegezeit haben wir in der Nacht hier verbracht. Logisch. AIDA-logisch.

 

 

Abfahrt bei Bilderbuchwetter. Die See ist so ruhig wie selten. „Flüchtlingswetter“, denke ich bei mir, während Malagas Hügelkette blau wird und sich kaum mehr von Himmel und Meer abhebt - eine Variation in Blau.

Die blaue Stunde ist eine Wohltat fürs Auge.

 

Tag 9: Seetag No.3

Alle Decks sind voll wie nie.

Zeit, die Blicke schweifen zu lassen. Was ich besser gelassen hätte…

 

Wussten Sie, womit man auf der Kreuzfahrt wie ich sie erlebt habe, ein Riesengeschäft machen könnte? Mit Stilberatung.

Während der Reise kamen mindestens ein Dutzend Leute (mehr als ein Drittel Frauen) auf mich zu und meinten, ich sei mit Abstand die bestungezogenste Person an Bord. Ich nahm das mit Bedauern zur Kenntnis, denn ich hätte sehr gern Konkurrenz gehabt. So aber wurde mein empfindsames Malerauge mit Farben, Formen, Kombinationen und Mustern konfrontiert, die mich beinahe erblinden ließen… 

Ich wusste bei vielen Kleidungsstücken gar nicht, dass so etwas verkauft wird. Und wenn, warum gab es die meisten Stücke nur immer eine Nummer zu klein für den Träger?

Gute, angemessene Kleidung ist für mich aktiver Umweltschutz. Es schützt die Augen meiner Umwelt. Im christlichen Sinne ist es auch angewandte Nächstenliebe.

Dabei muss gute Kleidung keineswegs teuer sein, schließlich hatte auch ich nur meine Alltagskleidung im Koffer.

Hier ein paar kostenfreie Tipps:

  1. Die Größe sollte wirklich passen.
  2. Sie muss zum Typ passen.
  3. Muster besser nur als Accessoire
  4. Maximal 2 verschiedene Farben im gesamten Outfit
  5. Es gibt kurze Hosen für Männer, aber man muss sie nicht kaufen
  6. Kleidung ersetzt keine Haltung, kein gepflegtes Auftreten, kein gutes Benehmen
  7. Die Farbe Pink gibt es in der Natur selten und nur in kleinen Abmaßen (Blüten). Ein pinkfarbener Jogginganzug in 48 ist … wie soll ich das sagen?

Um das Geschäft mit der Stilberatung anzuschieben (und visuell-empfindsame Menschen zu schützen), würde ich bis zur erfolgreichen Teilnahme einfach eine Kleiderordnung an Bord ausgeben. Denn schließlich kann man hier vor schlechtem Geschmack nicht fliehen, anders als an Land.

 

 

Doch zurück zu den Decks und den Sonnenliegen.

Ich frage mich, wie viele de facto darauf gepasst hätten, wenn man berücksichtigt hätte, dass nicht alle Passagiere verwandt oder verschwägert sind? Ein Drittel weniger oder gar nur die Hälfte?

 

Alles unterhalb einer Armlänge Distanz ist Intimsphäre, sagt man.

In meiner Intimsphäre liegen 4 Menschen. Mein Körper beantwortet dies mit Stresshormonen.

Ja, ja, ich bin empfindsam, ich weiß. Aber ich mag das, beschert es mir doch ein intensives sinnliches Erleben meiner Umwelt. Die Umwelt muss halt nur dazu passen…

Tag 10: Valencia

Damit man den Shuttle-Bus nicht extra buchen muss, haben wir am Vorabend bereits die Bustickets für 9,95 an der Kabinentür gehabt.

Jede Kabine.

Wie aufmerksam.

Bei Nutzung natürlich zu zahlen, oder was dachten Sie?

Denn wo liegt die AIDA im Hafen von Valencia? Am ersten oder am letzten Liegeplatz zur Stadt? Na? Genau. Und das sollen wir uns etwas kosten lassen. 

Wir Passagiere, nicht AIDA. Denn, was meinen Sie, ist der teuerste Liegeplatz in einem Hafen? Eben.

 

Valencia ist sehr groß und sehr laut mit 4-spurigen Straßen in einer Fahrtrichtung. Das muss man mögen.

Außergewöhnlich das trockengelegte Flussbett des Turia, in dem viel Grün, Sport und Spaß ihren Raum gefunden haben, weil die Bürger es so wollten. So durchzieht dieses grüne Band den urbanen Raum auf vielen Kilometern Länge.

Das Altstadtviertel ist eine Destination für chlerikale Touristen, die es scharenweise gibt.

 

Ich setze mich lieber ins Café und beobachte das Treiben.

Es ist für mich zu groß, zu laut, zu hektisch. Es wird offenbar, dass es überall dasselbe ist: Menschen laufen aneinander vorbei, starren auf ihre Smartphones, arbeiten, hektischer Blick, gedankenverloren, vermutlich die To-Do-Liste vor dem inneren Auge.

Es „shuttlet“ mich, back to ship.

 

Wie in jedem Hafen Röntgenkontrolle, Gürtel aus, Hut ab - nein, meine Sonnenbrille ist noch immer keine Bombe - Arme hoch, alles clean. 

Aber nichts in Ordnung.

 

Von hier ab gehen Fähren zu den Balearen und Kanaren, aber ich denke, Autofahren ist hier keine reine Freude.

Tag 11: Barcelona

Es ist Feiertag in Spanien und auch mein ganz persönlicher: wir sind in Barcelona! Heute werde ich Antonio Gaudi näher kommen als bisher in meinem Leben. Meine Verehrung für dieses Genie kennt keine Grenzen. 

 

Der Shuttle kann mich heute mal, der fährt zur La Rambla, der Einkaufsmeile (wegen des Feiertages übrigens geschlossen, haha) - ich will zu Gaudi!

Übrigens: welchen Liegeplatz haben wir wohl im Hafen? Hey, Sie sind gut! Langsam lernen Sie AIDAisch!

 

Die Taxifahrt zur La Sagrada Familia teile ich mir mit einem Paar, das seinen Ausflugsbus verpasst hat. Wir sind somit 3 Leute. Der Fahrpreis kostet 20 Euro. Der Mann gibt mir 10. Auf AIDAisch ist das fair, oder?

 

Dann steht sie vor mir: groß, majestätisch, unvollkommen, grandios … und ich bin ganz klein. Das soll dieser Mann bereits vor 100 Jahren entworfen haben? Und warum bauen Architekten des 21. Jahrhunderts dann rechteckige Klötze? Weil Sie später keine Touristenströme anziehen wollen, vermute ich. Denn auf einer kleinen Mauer im angrenzenden Park lese ich eine kurze, klare, und doch beinahe hilflose Message: „Tourist go home“. Ich kann das mehr als gut verstehen. Aber es gibt halt so viele hässliche Häuser auf der Welt und es werden täglich mehr.

 

Zum Park Güell mit dem nächsten Taxi. Diese Idee hatten wohl schon mehrere hundert Pilger außer mir, denn die Tickets fürs „Allerheiligste“ sind für die nächsten Tage ausverkauft. Der frei zugängliche Teil ist jedoch ebenfalls beeindruckend. Diese Leichtigkeit, Großzügigkeit, der Weitblick (in jeder Hinsicht) mit dem dieses Paradies hoch über Barcelona gestaltet wurde.

Im Park treffe ich auf einen Malerkollegen mit gutem Strich. Ehrensache, dass ich ihm ein Bild abkaufe und nebenbei etwas über reisefähige Verpackung lerne. Vielen Dank Senor … Ich komme wieder, versprochen!

 

Auch weil Barcelona ebenfalls groß, aber längst nicht so hektisch wie Valencia ist. Gelassener, angenehmer, mehr auf Empfang gestellt als aufs Senden. 

 

Letzte Taxifahrt zum Schiff, die schneller und günstiger ist als der Hinweg, obwohl exakt die gleiche Strecke. Taxifahrer No 1 hatte wohl die AIDA-Logik abonniert…

 

Leinen los - ungern, sehr ungern weg von Barcelona - Richtung Mallorca.

Antonio Gaudis Werke beeindrucken noch heute, sowohl im Park Güell als auch in Barcelonas City. Wie klein der Mensch, wie groß die Kunst...

Tag 12: Mallorca (Ausschiffung)

„Everything will be good in the end. If it´s not good, it´s not the end.“

 

Stimmt.

Und im speziellen Fall: „it´s good, because it´s the end“.

Ich kann von Bord.

Ich muss mich erholen. Dringend. 

Sortieren. Die Überdosis Mensch langsam abbauen durch weniger Geräusche, mehr Natur, gepflegte Atmosphäre.

In einem Hotel, das nicht dauernd mein Bestes will: mein Geld.

 

Auf Mallorca, denn ich bleibe noch ein Weilchen…

 

 

 

Ach so, da war ja noch was.

Meine Lernerfolge, denn Reisen bildet ja bekanntlich...


Zu meinen Lernerfolgen: 

  1. Die AIDA-Logik hatten wir schon.
  2. Mit Betreten des Schiffes verwirkt jeder Gast sein Recht am Bild. Will heißen, dass das Unternehmen jeden ungefragt fotografieren und filmen und diese Aufnahmen zu eigenen Werbezwecken benutzen darf.  Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie mal das Kleingedruckte! Datenschutz neu gedacht, finde ich… Vermutlich ist Punkt 1 der Grund!?
  3. Nie-Wo? „Der Preis bestimmt das Publikum“, sagte mir eine Mitreisende. Vielleicht hat sie Recht. Vielleicht hat sich AIDA aber genau dieses Publikum als Hauptzielgruppe gewählt. Die sind leichter zu lenken. Mit denen kann man auch sprechen wie mit kleinen Kindern, ohne dass sie rebellieren und sich das verbitten. Die kann man an die Rezeption zitieren und maßregeln. Gut gebildete, niveauvolle Reisende sind Anderes gewohnt und würden das auch einfordern. (Der Beschwerdebogen heißt übrigens „Anlage zur Gästemeldung“ und ist - oh, Wunder - manchmal nicht auffindbar…)
  4. Wer zum ersten Mal mit AIDA fährt, ist ein Nichts. Jedenfalls im Passagier-Ranking. Ab 4 Malen wird man ernst genommen und kommt als Gesprächspartner in Betracht. Ab 20 Kreuzfahrten steht man im Ranking ziemlich weit oben. Bei 220 Tagen auf See bekommt man eine Ehrung der Crew. 220 Tage IM SELBEN JAHR, versteht sich… Diesen „Dienstgrad“ erreichen nicht viele.
  5. Nach 5 Tagen beinahe täglicher Nachfrage, ob ich einen Kosmetikspiegel für die Kabine bekommen könnte und kurz bevor ich einen Spendenaufruf für AIDA im Internet starten wollte, bekam ich ihn. Was in jedem 3-Sterne-Hotel Standard ist, kostet hier 10 Euro Kaution. 
  6. Es gibt zwei Getränke-Flats, die man buchen kann: einmal mit, einmal ohne alkoholische Getränke. Ich hatte die ohne Prozente. Soweit so gut, bis ich Punkt 1 kennenlernte: Nicht alkoholische Getränke in Flaschen gehören nicht dazu. Auch Wasser. Kommentar: Punkt 1. Ferner ist es leider nicht möglich, einen Kaffee und 1 Softdrink zeitgleich zu bestellen. Grund: man sei nur 1 Mensch und müsse erst das eine Getränk austrinken. Ich verwies darauf, dass Kaffee ein Genussmittel sei, ich aber auch Durst hätte. Kein Erweichen. Ich wollte den Zeitraum wissen, in dessen Abstand ich Kaffee und Cola bestellen könne: 30 Sekunden, 3 Minuten, 30 Minuten - keine Antwort. Ich müsse erst austrinken. Das ganze ging bis zur FB-Managerin, die mir sogleich den Grund verriet: man wolle vermeiden, dass jemand mit einer Getränkeflat das ganze Deck mit Getränken versorgt. Puh! Punkt 1, aber ganz gewaltig!!! Ich fragte, ob nur 2 Menschen an Deck seien, denn ich wolle ja nur 2 Getränke. Keine Antwort. Am vorletzten Tag bekam ich zumindest ein Glas Wasser zum Kaffee, was ich als riesengroßen Erfolg werte und meinem Lieblingsitaliener erzählen werde, der diese unglaubliche Großzügigkeit bereits seit Jahren unaufgefordert gewährt… obwohl ich mit dem Glas Wasser ja die ganze Stadt versorgen könnte ;-))
  7. Last but not least (or vice versa ?): die Höchstform von Dekadenz ist, auf einem Kreuzfahrtschiff mit 7 Restaurants im Mittelmeer zu cruisen, wo auch die Flüchtlingsboote fahren, und eine Diät zu machen.

 

Vielleicht noch eines zum Schluss:

Ich wollte diese Kreuzfahrt genießen.

Ich habe mich redlich bemüht, meine Ansprüche heruntergeschraubt wo ich nur konnte.

Von „speisen wollen“  auf Nahrungsaufnahme umgeschaltet.

Meine Air Pods gegen alkoholisiertes Kleingruppengegacker eingesetzt.

Das Servicepersonal daran erinnert, dass ich Kunde bin und unterstellt, es wolle doch gewiss lösungsorientiert sein.

Aber es half alles nichts: ich wurde nicht taub, blind, unsensibel, dumm und dement. Obwohl sich wirklich alle bemüht haben.

Ich habe Sie nicht mit allen Details gequält, nicht mit dem (kostenpflichtigen) Offiziers-Cocktail-Shaken, nicht mit den anderen Verkaufsveranstaltungen, dem Bingo, der … nein, es muss genug sein. Stellen Sie sich einfach eine riesengroße 11-tägige Tupper-Party auf See vor. Denn für die Bilder in Ihrem Kopf bin ich nicht verantwortlich.

 

Kreuzfahrten vor 20 Jahren sollen anders gewesen sein, hat man mir erklärt.

Aber Zeitreisen werden leider nicht angeboten…